Kamelobooks:Ölkrise/00000100

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Kapitel 00000100

Inzwischen war er bereits auf Seite C1 angelangt. Die Bedienungsanleitung war jedoch schwerer zu verstehen, als er es gehofft hatte. Zumal der Schreiber offensichtlich nicht viel davon hielt, beim Thema zu bleiben (falls es überhaupt ein solches gab; Bedienungsanleitungen hatten höchst selten eins). Ein Inhaltsverzeichnis, ein Stichwortverzeichnis oder auch nur eine Einteilung in verschiedene Kapitel gab es nicht und Informationen zu unterschiedlichsten Einzelheiten der Bedienung waren wild durcheinandergewürfelt, so dass es nicht möglich war, einfach nur den Abschnitt zu lesen, der einen interessierte, denn diesen Abschnitt gab es nicht. In jedem Satz konnte irgendeine wesentliche Information enthalten sein (die man dann aber sicherlich mit tausend anderen wesentlichen Informationen, die willkürlich in die Bedienungsanleitung eingestreut waren, kombinieren musste, um sie zu verstehen). Darüber hinaus blieb der Text nicht einmal bei der Bedienung des Geräts, sondern es waren teilweise durchaus interessante oder amüsante Geschichten eingefädelt, die ihn aber im Moment relativ wenig interessierten. Immerhin schien jetzt etwas zu kommen, was zu seinem Problem passte:

Unter bestimmten Bedingungen kann es zu einer Fehlfunktion des Gerätes kommen, die sich in einem lauten Piepton äußert. Dies bedeutet jedoch keine Gefahr, es sei denn, man ist gerade in einer Situation, in der man unbedingt unbemerkt bleiben muß. So könnte zum Beispiel eine derartige Fehlfunktion fatal sein, wenn sie bei einem Spion während des Spionierens auftritt, da er dann auffliegen sollte. Es wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß für solche und ähnlich gelagerte Fälle keinerlei Anspruch auf Schadensersatz besteht, selbst wenn uns die Ursache bekannt sein sollte, was sie allerdings im Moment nicht ist, ansonsten hätten wir ihn vermutlich schon behoben, es sei denn, wir wären gerade durch ein Meeting davon abgehalten worden. Was also ist zu tun, wenn das Gerät einen solchen Fehler aufweist? Nun, zunächst sollte man sich vergewissern, dass es tatsächlich das Gerät ist, welches den Piepton aussendet, und nicht etwa beispielsweise ein Tinnitus. Für Pieptöne, die nicht von unserem Gerät ausgehen, übernehmen wir selbstverständlich keinerlei Verantwortung. Sollten Sie nicht einwandfrei feststellen können, ob das Gerät einen Piepton abgibt, versuchen Sie, das Gerät zu verwenden. Wenn es funktioniert, gibt es keinen Piepton ab, zumindest ist uns kein solcher Fall bekannt. Allerdings sollten Sie darauf aufpassen, dass Sie das Gerät mit sinnvollen Daten testen; letzthin hat jemand versucht, mit dem Gerät Atlantis zu finden, und es hat dann reklamiert, weil es die Insel nicht finden konnte. Nun sollte aber allgemein bekannt sein, dass Atlantis nur eine Legende ohne jeglichen Wahrheitsgehalt ist, und nichtexistierende Inseln können natürlich nicht gefunden werden. Wenn es aber Atlantis gäbe, und Sie es finden wollten, dann müssten Sie folgendermaßen vorgehen …

Entnervt legte er die Bedienungsanleitung zur Seite. Immerhin wusste er jetzt, dass etwas zum Problem in der Bedienungsanleitung stand. Irgendwo weiter hinten dürfte also auch die Lösung seines Problems stehen, zwischen Erläuterungen über die verschiedenen Salzgehalte der unterschiedlichen Meere, Belehrungen über die griechische Philosophie, verschiedenen Legenden von Atlantis bis Zorro … Nun ja, immerhin das: Die Legende von Atlantis hatte ihn nämlich schon von Kindheit an fasziniert, wenn er also in dieser Anleitung etwas darüber lesen könnte, was er noch nicht wusste, dann wäre immerhin nicht der ganze Rest des Textes uninteressant.

Jetzt musste er sich aber erst einmal vom vergangenen Anleitungsstudieren erholen. Er nahm sich seine Zeitung zur Hand. Das heißt, eigentlich war es gar nicht seine Zeitung, sondern die des Obdachlosen, der da heute früh blindlings vor ihm über die Straße gerannt war. Beinahe hätte er ihn überrannt, er hatte ihm gerade noch ausweichen können. Seine Zeitung war jedoch am Bein des Benzinschluckers hängengeblieben. Nun hatte er eben die Zeitung und wollte mal sehen, ob etwas Interessantes drin stand.

Als er die Zeitung zur Hand nahm, kam ihm sofort etwas merkwürdig vor, allerdings kam er nicht gleich darauf, was es war. Erst als er den ersten Artikel schon halb gelesen hatte – ein nicht übermäßig interessanter Bericht über die Renovierungsarbeiten an der Cheopspyramide, der vor allem die Kosten der geplanten Pyramidenbeleuchtung mit Glühwürmchen beklagte –, stellte er fest, was ihn die ganze Zeit so gestört hatte. Die Zeitung war nicht, wie bei Zeitungen sonst üblich, in der hieratischen Schrift geschrieben, sondern in Hieroglyphen. Hieroglyphen-Zeitungen waren aber normalerweise nur den obersten Schichten vorbehalten, wie also war der Obdachlose an diese Zeitung gekommen? Jedenfalls war es wohl besser, wenn er die Zeitung schnell versteckte, bevor sie jemand sah, denn auch er gehörte nicht zu jenen, die normalerweise an Hieroglyphenzeitungen kamen. Hoffentlich hatte noch niemand diese Zeitung gesehen, sonst käme er womöglich noch in irgendeinen Verdacht. Er wusste ja nicht, was dieser Obdachlose so angestellt hatte. Und selbst wenn nicht, dann konnte allein der Besitz dieser Zeitung ihn schon verdächtig machen. Er wusste zwar nicht, in welcher Hinsicht, aber irgendeinen Verdacht würde er schon auf sich lenken. Vor allem aber durfte Kamelopatra die Zeitung nicht sehen, sonst wäre es womöglich bald mit der vorteilhaften Beziehung vorbei.

Also steckte er die Zeitung schnell in seine Tasche. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Moment ging die nächstgelegene Zimmertür auf und ein ziemlich finster dreinschauendes Kamel beschwerte sich über den lauten Piepton, den er gefälligst abstellen solle. Was er natürlich nicht konnte, weil er die Anleitung ja noch nicht vollständig gelesen hatte. Also ging er schnell ein paar Zimmer weiter und nahm sich seufzend wieder die Anleitung vor. So recht konnte er sich aber nicht mehr darauf konzentrieren. Dies lag aber nicht am durchdringenden Pfeifton, der immer noch aus seiner Asse kam, sondern daran, dass ihm der Obdachlose und die Hieroglyphenzeitung nicht aus dem Kopf gingen. Und so legte er die Anleitung bald wieder weg und begann grübelnd herumzulaufen. Wie kam der Obdachlose zu dieser Zeitung? Und noch wichtiger: Wie wurde er selber diese Zeitung wieder unauffällig los? Einfach in den Müll werfen ging nicht, der wurde kontrolliert, um zu verhindern, dass auf diesem Weg Geheimnisse aus dem Gebäude geschmuggelt wurden. Aber genausowenig konnte er das Gebäude mit der Zeitung wieder verlassen. Er musste die Zeitung also unauffällig irgendwo im Gebäude loswerden. Aber wo? Und vor allem: Wie?

Nachdem er eine Weile ergebnislos grübelnd ziellos durch die Gänge gelaufen war, fiel ihm plötzlich auf, dass der Piepton nicht mehr da war. Er erschrak: Die Tasche, in die er die Asse gesteckt hatte, war nicht mehr da! Er mussste sie verloren haben. Irgendwo im Gebäude lag nun also eine Tasche mit seinem Namen darauf, die durch einen lauten, durchdringenden Piepton auf sich aufmerksam machte. Das wäre ja noch nicht so schlimm gewesen, wenn nicht auch die Hieroglyphenzeitung in dieser Tasche gesteckt hätte. Er musste die Tasche also unbedingt wiederfinden, bevor jemand anderes sie fand.


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