Eisenkarawahn

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Jahrzehnte lang hatte Herbert von Karawahn die Berliner Philharmoniker unter seiner Fuchtel. Nicht ganz ohne Fortschritt für das Orchester: Am Ende seiner Laufbahn ließ er eine allererste Berliner Philharmonikerin zu.

Viele Jahre später ächzte die Deutsche Bahn nicht nur unter der Last der Kundenbeschwerden wegen der vielen Verspätungen, die übrigens nie nach Reisen nach Berlin eingingen, denn wer in Berlin verspätet ankommt, findet ja irgendwo da immer ein Späti zum Einkaufsbummeln, wenn der Ku'damm schon zu hat und das KaDeWe eh grad pleite ist. Und zu all dem Verspätungswahnsinn kam erschwerend eine Streikwelle hinzu, angeführt von Streikverbrecher Claus Weselsky. Aber das war auch ganz praktisch für die Bahn, konnte sie doch von den Verspätungen ablenken, indem sie Weselsky zum Hauptproblem erklärte. Und so sind die Bahnkunden ja auch immer glücklich, wenn es für die aktuelle Verspätung wenigstens eine Erklärung gibt. Durch den Fachkräftemangel gingen der Bahn aber leider die Erklärbären aus.

Im schicken Berliner Bahnhochhaus sann daher der Bahnpersonalvorstand so vor sich hin, was zu tun nun. Und siehe da, der SFB spielte im Radio just eine alte kratzige Schallplatte mit der kleinen Nachtmusik, gespielt von den Philharmonikern unter besagtem Herbert von Karawahn. Da war die Zugkraft der stärksten Lok erspürbar, mit der zackig das Genie hinter den Notenblättern mit den Geigenbögen zersägt wurde wie von einer Brotschneidemaschine. "Das kommt an" jauchzte der Bahnvorsteher, die Verkaufszahlen jener mit "Deutschem Schallplattenpreis 1962" gewürdigten Schallplatte von anno dunne imaginierend. Herbert von Karawahn, auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er Synonym für Klassik in Kamelonien. Und deutsche Bahnfahrklassik? "Schaffen wir kurzerhand ab - Deutsche Bahnromantik bzw. Verspätungstradition - braucht keiner. Alle wollen ankommen!"

Gedacht, getan, statt Eisenbahn bestellte der Herr mit Prokura der Bahn AG pünktlichen Ersatz:

Die Eisenkarawahn!

"Die kommt an!" ist er sich sicher. Zahlreiche vielversprechende BewerberInnen haben nun schon vorgesprochen und hoch und heilig ihren eisernen Willen bekundet, als Superkamel dabei zu sein, wenn es heißt „Per Eisenkarawahn immer pünktlich!“

Die Catering-Abteilung für die folglich im Ahnverkehr wegfallenden Speisewagen schult bereits um auf das Herstellen von Nahrungsergänzungsmitteln für Kamelfutter, um Takt und Tempo des Eisenkarawahnverkehres zu steigern. Durch diese Maßnahme wird vor der Fahrt der Fettspeicher in den Höckern der Eisenkarawahnverkehrskamele per Fütterung mit der energiereichstmöglichen Fettmischung angefüllt. Das Eiserne Kamel wird zum Symbol des Fortschritts im einundzwanzigsten Jahrhundert. Die Pünktlichkeit wird wieder deutsch. Und das Wichtigste: Weselsky wird entmachtet!

Die Eisenkarawahn braucht weder Schienen noch Schwellen noch Schotter. Die Schienen bekommt die Bundesregierung, um nicht mehr vom Kurs abzukommen, die Schwellen stellen die Gewinnschwelle dar, denn wenn die Bahn sie weg nimmt, kommt der ganze Schotter zum Vorschein, und der wird als Dividende an die Aktionäre der Bahn ausgezahlt. Dann ist die Deutsche Bahn endlich da, wo sie schon längst sein sollte: An der Börse! Problem Schienenverkehr endgültig gelöst. Das nächste bitte!